In meiner therapeutischen Arbeit erlebe ich es immer wieder: Menschen möchten ihre Beziehungsmuster erkennen, um aus wiederkehrenden Konflikten und alten Dynamiken herauszufinden. Denn tatsächlich geraten sie oft genau in die Situationen, die sie um jeden Preis vermeiden wollen. Sie fürchten Streit – und provozieren ihn unbewusst. Sie wünschen sich Nähe – und stoßen andere von sich weg.
Warum ist das so? Warum wiederholen wir, oft über Jahre hinweg, dieselben Erfahrungen, obwohl wir sie längst verstanden zu haben glauben?
Dieser Beitrag zeigt, was hinter diesen Dynamiken steckt, wie Körper und Psyche daran beteiligt sind – und welche ersten Schritte helfen können, aus solchen Mustern auszusteigen.
Beziehungsmuster erkennen: Wenn Vermeidung Nähe verhindert
Vor einiger Zeit begleitete ich eine Klientin, nennen wir sie Anna.
Anna kam in die Therapie, weil sie von ihren partnerschaftlichen Konflikten so belastet war. Wenn ihre Partnerin unzufrieden wirkte oder ein kritisches Thema ansprach, spürte sie sofort Druck in der Brust und das Bedürfnis, wieder zu etwas anderem überzugehen. Sie sehnte sich nach Nähe – aber nur, wenn sie friedlich war.
Verständlicherweise löste ihr Rückzug bei ihrer Partnerin das Gegenteil aus: Sie fühlte sich abgewiesen und wurde lauter, fordernder. Anna wiederum fühlte sich bedrängt und verschloss sich noch mehr. Am Ende standen sie beide frustriert da – jede in ihrer eigenen Ecke.
Solche Dynamiken sind häufig, wenn wir unsere Beziehungsmuster erkennen wollen, aber gleichzeitig in alten Schutzmechanismen feststecken.
Selbstsabotage verstehen: Warum wir unsere Ängste selbst erschaffen
Was Anna erlebte, ist typisch. In der Psychologie spricht man vom Wiederholungszwang – dem unbewussten Drang, alte emotionale Situationen zu reinszenieren, um sie endlich aufzulösen.
Wie wir anhand biographischer Erfahrungen erkennen konnten, hatte Anna als Kind gelernt, dass Streit etwas Gefährliches ist. Wenn die Eltern sich stritten, zog sie sich in ihr Zimmer zurück. Dieses Verhalten war damals Schutz – heute steht es echter Nähe im Weg. Solange das Alte unvollendet bleibt, wiederholen wir es. Wir erschaffen die vertraute Erfahrung, weil sie uns paradoxerweise Halt gibt. Ein bekannter Schmerz scheint sicherer als ein unbekanntes Risiko.
Die gestalttherapeutische Perspektive: Offene Gestalten streben nach Vollendung
In der Gestalttherapie geht es genau darum, eigene Beziehungsmuster zu erkennen und die dahinterliegenden Gefühle bewusst zu erleben. Diese offene Gestalten – Erfahrungen, die emotional noch nicht abgeschlossen sind – suchen nach Ausdruck.
Bei Anna zeigte sich, dass sie nicht nur Konflikte meidet, sondern ihre eigene Wut. Sobald Ärger auftauchte, richtete sie ihn nach innen – ein schmerzhafter Mechanismus, der sie daran hinderte, für sich einzustehen. Erst als sie begann, diese Energie bewusst zu spüren und auszudrücken, begann Veränderung.
Das ist zentral in der Gestalttherapie: Veränderung entsteht nicht durch Analyse, sondern durch Erleben im Hier und Jetzt – im Kontakt mit sich selbst und einem Gegenüber.
Wie dein Körper alte Muster festhält
Auch der Körper spielt eine zentrale Rolle, wenn wir unsere Beziehungsmuster erkennen wollen. Annas Körper erzählte die Geschichte auf seine eigene Weise. Wenn sie von den Konflikten mit ihrer Partnerin sprach, spannten sich ihre Schultern an, der Atem wurde flacher, sie zog ihren Kopf etwas ein. Es war, als würde der ganze Körper sagen: „Ich will mich nicht zeigen.“
Aus körperpsychotherapeutischer Sicht sind solche Spannungen eingefrorene Bewegungen – Überreste alter Impulse, die einst gestoppt wurden. Der Körper schützt, was damals zu viel war.
Als Anna begann, diese Empfindungen wahrzunehmen – Enge, Wärme, Zittern –, tauchten Erinnerungen und Gefühle auf. Erst Angst, dann Wut. Schließlich stand sie auf, stampfte auf den Boden, schrie: „Hört auf! Es reicht!“ Danach weinte sie lange. Am Ende saß sie aufrecht da, ruhig, mit klarem Blick. Ihr Körper hatte etwas nachgeholt, das lange gefehlt hatte: Ausdruck. Sie schaute mir in die Augen und wirkte wie befreit.
Das Selbstbild als unsichtbarer Verstärker
Viele meiner Klientinnen und Klienten halten unbewusst an einem Selbstbild fest, das eng mit ihren Schutzmechanismen verwoben ist:
„Ich bin halt harmoniebedürftig.“
„Ich passe nicht in Gruppen.“
„Ich kann mich schwer öffnen.“
Diese Selbstbeschreibungen stabilisieren – aber sie verschleiern, dass darunter Angst liegt – etwa vor Ablehnung oder Beschämung. Das Selbstbild schützt, verhindert aber gleichzeitig Entwicklung.
Wenn Menschen beginnen, dieses Selbstbild zu hinterfragen, zeigen sich darunter oft verletzliche, aber lebendige Seiten – der Wunsch, gesehen zu werden, ohne perfekt sein zu müssen.
Erste Hilfe bei wiederkehrenden Mustern: 5 konkrete Schritte zur Veränderung
Veränderung beginnt nicht mit Selbstkritik, sondern mit Bewusstheit. Nicht mit „Ich sollte anders reagieren“, sondern mit „Ich bemerke, was gerade passiert.“
Erste Schritte können sein:
1. Spüren statt erklären.
Halte inne, wenn du merkst, dass du dich zurückziehst, anpasst oder rechtfertigst. Wie fühlt sich das körperlich an?
2. Erkenne, was du vermeidest.
Welche Emotion versuchst du zu umgehen – Angst, Scham, Wut?
3. Mach es sichtbar.
Sprich es aus: „Ich merke, dass ich mich gerade verschließe.“ Dieser Moment von Ehrlichkeit kann eine ganze Dynamik verändern.
4. Erlaube kleine Risiken.
Nähe entsteht, wenn du echt bleibst – auch wenn das unangenehm ist.
5. Such dir Unterstützung.
Therapeutische Begleitung hilft, alte Muster im Kontakt zu durchleben und Schritt für Schritt zu lösen.
Fazit: Heilung geschieht im Kontakt
Das, was wir vermeiden, sucht Kontakt. Solange wir es abwehren, bleibt es aktiv – in Körper, Beziehung und Denken. Erst wenn wir bereit sind, das bislang Vermiedene zuzulassen, kann etwas Neues entstehen.
In meiner Praxis für Gestalttherapie und Körperpsychotherapie erlebe ich immer wieder, wie sich Menschen verändern, wenn sie beginnen, ihre Beziehungsmuster zu erkennen und die dahinterliegenden Gefühle zuzulassen. Dann entsteht etwas anderes: mehr Lebendigkeit, mehr Nähe, mehr Frieden mit sich selbst.
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