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Was ist Gestalttherapie? Wann ist sie hilfreich?

Kategorie(n): Gestalttherapie
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„Ich und du – im Hier und Jetzt“. So lautet die knappste Definition von Gestalttherapie. Deutlich wird, dass die Beziehung im Vordergrund steht. In einer gestalttherapeutischen Sitzung begegnen sich zwei Menschen und erkunden, wohin die Reise geht – ohne festgelegten Plan. Jedoch auf Basis des Anliegens, das der Klient oder die Klientin mitbringt.

Verantwortung für das eigene Leben übernehmen

Einen hohen Stellenwert hat dabei die Eigenverantwortung, denn eine grundlegende Annahme ist, dass wir zwar unsere Lebensumstände nicht vollumfänglich bestimmen können. Wie wir damit umgehen – darauf haben wir durchaus Einfluss. Oft vergessen das Menschen jedoch: Sie machen sich zu Opfern ihres Lebens, sie resignieren und stagnieren.

Während der Sitzung versuche ich als Gestalttherapeut vor allem, deutlich zu machen, was für mich offensichtlich ist, was mir ins Auge springt. Nur allzu oft unterscheiden sich Fremd- und Selbstwahrnehmung und was von außen übersehbar ist, nehmen Menschen selbst oft gar nicht wahr oder wollen es nicht wahrhaben. Die urteilsfreie Rückmeldung von einem interessierten Gegenüber unterstützt Menschen in der Regel darin, Aspekte ihres Seins in ihr Bewusstsein zu lassen, die oft verdrängt sind.

Prozessarbeit im Jetzt

Ein weiterer wichtiger Aspekt der Gestalttherapie ist, gegenwärtig zu bleiben. Denn auch wenn wir das oft anders wahrnehmen, spielt sich das eigentliche Leben in der Gegenwart ab. Aus gestalttherapeutischer Sicht sind Vergangenheit und Zukunft Phantasien, da es sich „nur“ um Gedanken handelt und wir sie nicht unmittelbar erleben können. Gleichwohl finden alle Gedanken zu gestern oder morgen jetzt statt. Mit dem, was jetzt passiert, können wir arbeiten. Viele Menschen haben einen Drang von den Problemen ihrer Vergangenheit zu erzählen, von Kindheitswunden, dem unbefriedigenden Umgang mit anderen Menschen, von Kränkungen und Enttäuschungen. Oder sie sprechen von ihren Zukunftsplänen, von ihren Träumen oder ihren Befürchtungen, Sorgen und Ängsten.

Natürlich dürfen diese Gedanken in der Gestalttherapie da sein, die Hauptaufmerksamkeit liegt jedoch nicht auf dem Inhalt, sondern auf der Art, wie die Person davon spricht und mit welchen körperlichen Empfindungen und bestimmte Gedanken verbunden sind. Die zu erforschen löst häufig Prozesse aus, die sich auf der rein kognitiven Ebene nicht erreichen oder steuern lassen.

Abwehrmechanismen deutlich machen

Es ist sehr verbreitet, dass Menschen unbewusst Dinge tun, um sich von bestimmten Gefühlen abzulenken, um diese Gefühle nicht ertragen zu müssen. Geleitet von der meist unbewussten Angst vor bestimmten Erfahrungen laufen sie unter Umständen, etwas spitz formuliert, das ganze Leben vor sich selbst weg. Dann sind Menschen immer am Denken, nehmen sich selbst aber nicht wirklich wahr. Vielleicht sind sie auch immer laut oder müssen immer die ersten sein. Vielleicht ist auch das Gegenteil der Fall und sie nehmen sich zurück, vermeiden es aufzufallen, lassen sich nicht auf Neues ein. Möglicherweise gibt es auch eine ständige Gereiztheit oder kontinuierliche Unzufriedenheit. Manche Menschen haben sich angewöhnt, die Welt immer durch eine rosarote Brille zu sehen, bei anderen trägt die Brille einen grauen Schleier. Als Gestalttherapeut finde ich mit meinen Klientinnen und Klienten heraus, welche Muster sie sich zugelegt haben, um nicht alles zu fühlen.

Diese Abwehrmechanismen gilt es zu würdigen, denn sie haben einen Grund, der in der Biographie der Menschen zu finden ist: Irgendein Schmerz war einfach zu groß, als dass er in der damaligen Situation auszuhalten gewesen wäre. Ich habe nicht die Erwartung, dass die Menschen, die ich begleite, anders sein müssen. Allerdings wird ihnen oft bewusst, dass sie sich auf diese Weise selbst davon abhalten, ein bestimmtes Bedürfnis zu erfüllen oder realisieren, wie sie sich in ihrem Potential beschneiden. Wenn ihnen klar wird, ihr Leben gar nicht ganz zu leben, weil ein Teil fortlaufend damit beschäftigt ist, unbewusst vorhandene Impulse zu unterdrücken, zeigen sich oft starke Gefühle, wie ein Bedauern.

Den Gefühlen Raum geben

Als Gestalttherapeut ist es mein Anliegen, all diesen Gefühlen Platz zu machen. Wie oft haben wir klare Vorstellungen, wie wir zu sein haben? Wenn Menschen zumindest in ihrer Therapiesitzung, für diesen kurzen Moment, aussteigen können aus dem Druck, den sie sich immer machen, ist schon viel gewonnen. Einfach zu sein, statt irgendwie sein zu wollen. Das zu fühlen, was da ist, anstatt die wahren Gefühle permanent zu unterdrücken, weil sie für andere zu viel sein könnten, weil sie vermeintlich unangenehm sind, weil sie nicht ins Selbstbild passen. Sich einzugestehen, was man sich wirklich wünscht, anstatt sich an sozial akzeptierte Dinge zu klammern, die häufig mit Konsum zu tun haben und nicht länger befriedigen als einen kurzen Augenblick.

Diese Momente, in denen Menschen sich ganz fühlen, in denen sie ihre eigene Wahrheit entdecken, sind Gold wert. Da geht es nicht mehr um Worte, nicht mehr um Geschichten, nicht mehr um die Frage, wer Schuld hat. In diesen Momenten geht es um die Verbindung mit sich selbst. Sie kann eine Initialzündung sein für ein neues Sein in der Welt, für ein neues Grundgefühl.

Der therapeutische Fortschritt zeigt sich zwischen den Sitzungen – im Alltag

Diesen Zustand erreicht man nicht mit der Brechstange. Ein Vorgehen, das auf ein kathartisches Erleben abzielt, ist vielen nicht zu unrecht suspekt und nicht mehr zeitgemäß. Als Therapeut habe ich nichts davon, wenn ich in der Sitzung überflutende Gefühle aus meinen Klientinnen und Klienten herauskitzle, die sie dann alleine nicht halten können. Wichtig finde ich vielmehr, alle Anteile mitzunehmen. Das geht dann vielleicht nicht ganz so schnell – doch diesen Erwartungsdruck der Klient*innen muss ich aushalten können, ohne ihm gleich nachzugeben. Überhaupt findet die eigentliche Arbeit zwischen den Sitzungen statt. Was wir in der Sitzung bearbeiten, muss integrierbar sein. Dann zeigen sich kleine Veränderungen im Alltag, in Beziehungen, in der Abgrenzung, im Wohlwollen mit sich selbst. Ganz ohne meine Unterstützung; dafür in der Eigenverantwortung für das eigene Leben.

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